Messfehler von mehr als 20% bei Video-Geschwindigkeitsmessungen mit der Video-Stoppuhr CG-P50E möglich

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2007, p. 137 (#5) – Download bei Vieweg


Zitat

Wietschorke, St.: Messfehler von mehr als 20% bei Video-Geschwindigkeitsmessungen mit der Video-Stoppuhr CG-P50E möglich. Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik 45 (2007), pp. 137 – 142 (# 5)

Inhaltsangabe

Im Beitrag werden Messfehler des Zeichengenerators JVC Piller CG-P50E bei der Abstands- bzw. bei der Videogeschwindigkeitsmessung aufgezeigt und das Eichverfahren bei den Eichämtern sowie das Zulassungsverfahren der PTB kritisiert.

Bei dem Gerät handelt es sich nicht um eine eichfähige (Videostop-)Uhr, sondern um einen Halbbildzähler ohne eigene Zeitbasis. Die Kamera, die den Zeitabstand der Halbbilder festlegt, ist jedoch nicht in die Eichung mit einbezogen, es darf vielmehr eine beliebige Kamera angeschlossen werden. Der Zeichengenerator setzt zur Berechnung der Zeit aus den Halbbildern eine Kamera mit 50 Halbbildern pro Sekunde stillschweigend voraus. Videokameras müssen jedoch nicht unbedingt mit 50 Halbbildern arbeiten, NTSC-Kameras z.B haben 60 Halbbilder pro Sekunde.

Eine zu hohe Bildfrequenz führt zu einer zu großen Zeit und damit zu einer zu geringen Geschwindigkeit (zu Gunsten eines Betroffenen). Bei zu geringer Bildfrequenz ergibt sich eine zu geringe Zeit und damit zu Ungunsten des Betroffenen eine zu große Geschwindigkeit. Sollte das Verfahren im amtlichen Verkehr weiter Anwendung finden, so müssten – nach Auffassung von Wietschorke, der auch Autor im Fachbuch Unfallrekonstruktion ist – die jeweils eingesetzten Videokameras ebenfalls geeicht werden, was bis dato mitnichten der Fall ist. So jedenfalls dürften die Geräte nicht weiter im amtlichen Verkehr eingesetzt werden; die PTB-Zulassung (seit 1988!) müsse zurückgezogen werden.

Man darf gespannt sein, wie und wann sich die PTB zu diesem Artikel positioniert.


Erratum von Stephan Wietschorke

In den Bildunterschriften ist als Gerätebezeichnung PG-C50E angegeben. Das ist falsch; es muss CG-P50E heißen.

Der Sachverständige Pilz wies in einem Telefongespräch darauf hin, dass nicht unbedingt die Kamera, sondern in den meisten Fällen das zwischen Kamera und Zeichengenerator geschaltete Mischpult zeitbestimmend ist. Das Mischpult selbst synchronisiert auf eine der beiden Kameras (Master), das Signal der anderen Kamera wird in der Phase verschoben und angepasst.

Korrespondenz mit der PTB

Am 04.06.2007 teilte die PTB dem Verfasser des Artikels (Wietschorke) per Mail mit (Auszüge):

  • Zitat1: Entsprechend den Festlegungen der Gebrauchsanweisung darf der Charakter­generator nur an die hierfür vorgesehenen Videokameras angeschlossen werden. In der betreffenden Gebrauchsanweisung heißt es wörtlich:

Dieser Zeichengenerator ist nur in Kombination mit JVC-Videokameras verwendbar. Er ist nicht für Geräte anderer Hersteller bestimmt.

Dies steht im direkten Widerspruch zum Zulassungsschein. Dort heißt es

"2.1 Unterlagen und Anwendung

Der Charaktergenerator des Typs CG-P50E muss der Bedienungsanleitung CG-P50E/TG3 vom 04.12.87 entsprechen. Es dürfen beliebige Videokameras und Recorder verwendet werden, wenn sich der Charaktergenerator an diese Geräte anschließen lässt."

  • Zitat2: Insofern ist die von Ihnen getroffene Aussage, dass es bei einem Einsatz der Geräte zu Messfehlern von mehr als 20% kommen kann, irreführend. Sie beschreibt vielmehr einen von der PTB-Zulassung nicht abgedeckten Einsatzfall (Verwendung einer Kamera mit der in den USA gültigen NTSC-Fernsehnorm). Auf diesen Umstand wurde in Ihrem Artikel in keiner Weise hingewiesen. Darüber hinaus halten wir es für völlig unrealistisch, dass eine derartige Kamera in Deutschland eingesetzt wird.

Wenn beliebige Kameras angeschlossen werden dürfen, warum dann keine NTSC-Kameras? Der Zulassungsschein enthält das Wort beliebig, aber keinen Hinweis, dass nur PAL-Signale verarbeitet werden dürfen. An etlichen Camcordern lassen sich verschiedene Video-Ausgangssignale einstellen. Warum soll eine Fehleinstellung unrealistisch sein? Nach der PTB-Richtlinie PTB-A 18.13 (Video-Uhren, Dez. 2005) sind Video-Uhren für eine Kamerafrequenz von mindestens 24Hz auszulegen. Dies ergäbe bei dem Gerät CG-P50E bereits einen Fehler von 4%; wäre also höher als der im Eichgesetz für Geschwindigkeitsmessgeräte festgelegte maximal zulässige Fehler von 3%.

  • Zitat3: Darüber hinaus stellen Sie die Rolle der PTB in Ihrem Kommentar zum „Umgang der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt mit der dargestellten Problematik“ verzerrt und fehlerhaft dar. Sie stellen die Behauptung auf, dass der PTB die Funktionsweise des Gerätes weder bei der Erteilung der Bauartzulassung noch bei der Verfassung des in der aktuellen Rechtsprechung häufig herangezogenen PTB-Berichtes PTB-MA-57 „Zur Messunsicherheit der Videoabstandsmessverfahren VAM und VAMA bei der amtlichen Verkehrsüberwachung“ bekannt gewesen sei und erwecken den Eindruck, dass die Funktionsweise des Gerätes erstmalig aufgrund der von Ihnen durchgeführten Versuche bekannt geworden ist. Richtig ist vielmehr, dass Sie erst durch die PTB über die Funktion des Gerätes (im Rahmen eines ausführlichen Telefonates) informiert worden sind.

Wenn die PTB tatsächlich bereits bei der Zulassung und später bei Verfassen des Berichts PTB-MA-57 die exakte Funktion des Bildzählers kannte und das Gerät trotzdem als Video-Stoppuhr zuließ bzw. die Zulassung nicht widerrief, müsste sie auch für die Folgen der widerrechtlichen Zulassung eines nicht-eichfähigen Geräts haften. Prozesse zu entgangenen Fahrfreuden oder zu Vermögensschäden durch Jobverlust bei Kraftfahrern etc. wären denkbar.

Außerdem: Wenn die Mitarbeiter der PTB die tatsächliche Funktion des Geräts kannten, warum beschrieben sie dann die Funktion des Geräts im Zulassungsschein falsch? Und warum führten sie im Rahmen der Untersuchung PTB-MA-57 einen Versuch durch, der aufgrund der Funktion des Geräts die Messgenauigkeit gar nicht bestätigen konnte? Es sind weiterhin Zweifel angebracht.

Die PTB nahm leider keine Stellung zu den Kernproblemen beim Einsatz des Geräts:

  • widerrechtliche Zulassung eines Zählers ohne eigenen Zeitbaustein als Uhr
  • fehlende Definition, Prüfung oder Zulassung der zeitbestimmenden Kameras
  • willkürliche Festlegung des Verkehrsfehlers, da die Toleranzen der zeitbestimmenden Kameras nicht bekannt sind
  • fehlende Überwachung und Rückmeldung des Geräts bei fehlerhaften, zu schnellen oder zu langsamen Zeitsignalen (Videofrequenz)

Die PTB will die Zulassung nicht zurückziehen oder ergänzen.

  • Zitat4: Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass die im Jahre 1988 erteilte Zulassung bis heute uneingeschränkt gültig ist (abgesehen von der Ihnen bekannten Aktualisierung der Fehlergrenzen im 2. Nachtrag).


Ergänzung vom 30.06.2007 von Stephan Wietschorke

Die PTB verschickt derzeit auf alle Anfragen eine Standardmail, die ebenfalls nicht auf die Kernprobleme eingeht.

Darin ist unter anderem folgender zusätzlicher Verweis enthalten:

Betrachtet man die Anforderungen an das PAL-System, so ist hinsichtlich der Stabilität der Zeilenfrequenz von einer Abweichung von ± 0,0001% (gemäß ITU RB T470-6) auszugehen. Die somit zu erwartende maximale Abweichung von der 50 Hz-Frequenz liegt damit im Bereich von 49,99995 Hz bis 50,00005 Hz. Auch bei einem formal von den aktuell gültigen Zulassungsbedingungen abweichenden Einsatz mit Kameras anderer Hersteller ist daher keine Benachteilung von Betroffenen zu erwarten, selbst wenn die zulässige Bandbreite der Norm voll ausgeschöpft werden würde.

Dazu folgende Anmerkungen:

  • Die angegebene Norm heißt richtig ITU-R BT.470-6; der gültige Stand ist von 1998. Sie definiert das NTSC- und die verschiedenen PAL-Systeme. Die Norm ist bindend für Fernsehanstalten bzw. Fernsehsender. Es gibt keine Bindungswirkung für die Hersteller von Camcordern etc. Die Hersteller werden ohne zwingenden Grund die Einhaltung der Norm wohl auch nicht zusichern.
  • Die Norm baut auf einer älteren CCIR-Norm auf. Die liegt mir leider (noch) nicht vor. In den technischen Daten beziehen sich die Hersteller oft auf das CCIR-Signal. Eine wirkliche Zusicherung der Einhaltung von Toleranzen stellt das aber wohl nicht dar.
  • Die angegebene Toleranz von ± 0,0001% bezieht sich auf die Zeilen-, nicht auf die Bild-Frequenz. Sie gilt auch nur für Farbsysteme. Die Toleranz für Schwarzweiß-Video beträgt nur ± 0,02%.
  • Aus der Zeilenfrequenz lässt sich die Bildfrequenz über die Zeilenzahl ableiten. Allerdings kann es bei analogen Geräten geringfügige Schwankungen durch die nicht sichtbaren Zeilen (Schwarzschulter, Synchronpulse etc.) geben, die zu einer größeren Toleranz führen.
  • Die sehr geringe Toleranz der Zeilenfrequenz ist wegen des Farbträgers erforderlich. Nur dann sind vollständige Auflösung aller Punkte in jeder Zeile und stabile Farben gewährleistet. Wird die Toleranz nicht eingehalten, führt das zu Unschärfe und Farbverfälschungen.
  • Wenn die Camcorder diese Norm einhalten, dann besitzt deren Bild die gleiche Qualität wie ein Fernsehbild bei optimalem (!) Empfang. Bei modernen, digitalen Geräten dürfte das auch so sein. Bei älteren analogen Geräten (keine Broadcast-Ausführungen) sind die Auflösung aber oft geringer (das Bild etwas unschärfer) und die Farben insbesondere an Kanten nicht stabil. Das ist ein Indiz dafür, dass diese Geräte eben mit deutlich größeren Toleranzen arbeiten. Und diese größere Toleranz schlägt dann auch bis in die Bildfrequenz durch.
  • Der Verweis auf eine Norm ohne Bindungswirkung hilft also auch nicht weiter. Außerdem ist das Gerät dann immer noch keine Uhr und es kann immer noch kein sicherer Verkehrsfehler für das Gerät festgelegt werden.

Kommentar von Johannes Priester

Die Stellungnahme der PTB geht eigentlich nicht auf den Kern des Problemes ein! Es wurde ein Meßgerät mit eigener Zeitbasis zugelassen- tatsächlich wird jedoch die Zeitbasis einer nicht geeichten Videokamera verwendet.

In diesem Zusammenhang muß man auch einmal die Möglichkeit der Messung mit nicht geeichter Kamera sehen. Im Jahr 2003 hatten verschiedene Polizeidienststellen in Rheinland-Pfalz Geschwindigkeitsmessungen mit nicht geeichten handelsüblichen Videokameras durchgeführt. Als Wegbasis wurden die auf der Fahrbahn angebrachten Markierungen des Charaktergenerators verwendet und die Zeit wurde durch Zählung der Einzelbilder ermittelt.

Auf Anfrage der Zulässigkeit schrieb die PTB am 5.8.2003:

  • Zitat: Es besteht unseres Erachtens kein Zweifel, dass gegebenenfalls die Verwendung handelsüblicher nicht zugelassener und nicht geeichter Videokameras zur unmittelbaren Geschwindigkeitsermittlung von Fahrzeugen bei der amtlichen Überwachung des Straßenverkehrs durch einfaches Auszählen der Bilder nicht zulässig ist.

Aber wo ist denn jetzt der Unterschied zum JVC CG-P50E ?' Inwiefern soll sich denn die Genauigkeit einer JVC-Kamera von anderen Anbietern unterscheiden? All diese Fragen werden wohl offen bleiben.

Artikel SZ, 29.06.2007

In einem Artikel (Autor: Olaf Przybilla), der am 29.06.2007 in der Süddeutschen Zeitung (SZ) unter dem Titel Falsch geeicht erschien, wird die Verwendung nicht zugelassener Videokameras in Bayern seit mindestens 10 Jahren durch den Gutachter Uwe Fürbeth (es handelt sich um den Neffen des allseits bekannten Kollegen Volker Fürbeth) aufgezeigt. Der Zeichengenerator sei nur in Verbindung mit JVC-Kameras zur amtlichen Geschwindigkeitsmessung verwendbar. Das bayerische Innenministerium hielt die Vorwürfe für haltlos, da die Abstandsmessgeräte auch mit Videokameras anderer Hersteller fehlerfrei arbeiteten. Die PTB verwies auf die in 1988 erteilte Zulassung, die bis heute uneingeschränkt gültig sei. Die PTB aber räumte ein, dass offensichtlich bereits vor der Nachtragserteilung Kameras anderer Hersteller eingesetzt worden seien: Einzelfälle hierzu seien bekannt, die Kameras seien aber i.d.R. in die Eichung miteinbezogen gewesen. Fürbeth gab in diesem Zusammenhang an, dass die Fa. Piller zwischenzeitlich einen Zulassungsnachtrag mit der Erweiterung auf beliebige Kameras beantragt habe.

Brisant: scheinbar wurden Geräte bei der amtlichen Verkehrsüberwachung (zumindest in Bayern) eingesetzt, bevor die formale Zulassung durch die PTB dafür erfolgte. Ob hier von vorauseilendem Gehorsam der amtlichen Verkehrsüberwachung gesprochen werden darf? Unabhängig von der tatsächlichen Messgenauigkeit der verwendeten Komponenten obliegt die formale Bewertung dieses Umstands der juristischen Würdigung. Wenn die amtliche Verkehrsüberwachung derart nachlässig durchgeführt wird, öffnet dies (vermutlich erfolgversprechenden) Einsprüchen der Betroffenen Tür und Tor.

Die im SZ-Artikel beschriebene Haltung der PTB dazu entlockt dem Leser mal wieder ein ungläubiges Grinsen....

Die Zusammenfassung bzw. die Gesprächsnotiz zu einem Telefonat zwischen dem Ingenieurbüro Fürbeth & Kollegen und Herrn Dr. Märtens (PTB) findet sich hier.

ZDF-Sendung WISO vom 02.07.2007

In WISO kamen in einem Beitrag zum Thema am 02.07.2007 u.a. die beiden Sachverständigen Stephan Wietschorke und Johannes Priester sowie Frank Jäger von der PTB zu Wort und vertraten die jeweils bereits oben genannten Auffassungen. Wietschorke betonte nochmals, dass das Gerät keine eigene Uhr aufweise. Priester beanstandet die Zulasssung des Geräts durch die PTB. Jäger von der PTB wiederum geht lediglich auf die Kombination von Videokamera und Zeichengenerator ein und gibt an, dass keine Meßfehler über die Verkehrsgrenzen hinaus feststellbar seien. Um die Beantwortung der Frage der Sachverständigen, warum man bei der PTB dem Gerät eine Zulassung erteilt habe, obwohl – entgegen der Zulassungsbeschreibung – kein eigener Zeitgenerator eingebaut sei, drückt sich offenbar die PTB bislang immer noch. Genau hier scheint nach wie vor die Diskrepanz zwischen der Auffassung der Sachverständigen und der PTB zu liegen. Hier hat die PTB künftig sicher noch Erklärungsbedarf!

Der Beitrag zeigt eine - sehr betagte - JVC-Kamera mit aufgesetztem Zeichengenerator. Es handelte sich nach Auskunft des Journalisten um das Referenzgerät der PTB. Damit wäre auch klar, dass die von Egger/Piller an die Polizeidienststellen ausgelieferte Gerätezusammenstellung nicht der bei der PTB vorgestellten Ausführung entsprach.

Die Polizei des (großen) Saarlands hat, dem Bericht nach, die Verkehrsüberwachung mit dem umstrittenen Gerät bis auf Weiteres eingestellt.

Der Fernsehbeitrag kann z.B. hier (zumindest vorübergehend) angesehen werden.

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