Reifenmodell

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Reifenmodell

Ein Reifenmodell ermöglicht die Abbildung der Kräfte und Momente, die im Latsch zwischen Reifen und Fahrbahn übertragen werden. Je nach Anwendungsfall bieten sich verschiedene Modelle mit unterschiedlichem Detaillierungsgrad und entsprechender Rechenzeit an. Die Bandbreite der Anwendungen reicht von vergleichsweise einfachen mathematisch-pyhsikalischen Beschreibungen von Längs- und Querschlupf bis hin zu aufwändigen FEM-Modellen.

Grundlagen

Anwendung

Beispiele für (nicht-)kommerzielle Reifenmodelle

  • MF-Tyre (Magic-Formula)
  • IPG-Tire / TameTire
  • TM-Easy
  • CDTire
  • FTire
  • MF-Swift
  • RMOD-K
  • DTire
  • HSRI (oft in ESC-Algorithmen verwendet) Link

Man kann verschiedene Arten von Reifenmodellen unterscheiden: mathematische, empirische, physikalische oder Mischformen. Je nach Anwendungszweck (Fahrdynamik, Fahrkomfort) wählt man einen aufwändigeren oder einfacheren Ansatz, wobei die Rechenzeiten auch zu beachten sind. MF-Tyre ist z.B. ein Vertreter eines mathematisch-empirischen Reifenmodells.
Will man bspw. Anregungen oberhalb der Gürteleigenfrequenzen eines Reifens (ca. 30 - 50 Hz) untersuchen, um etwa ABS-Regelvorgänge (und deren Rückwirkung auf das Fahrzeug) abzubilden, so muss dieser Effekt auch im Reifenmodell enthalten sein. D.h., man wird zu einem aufwändigeren physikalischen Reifenmodell (z.B. FTire oder RMOD-K, sog. Gürtelringmodelle) greifen.

Verwendung von Reifenmodellen in Unfallrekonstruktionsprogrammen

1. Virtual Crash
Hier (bis Software-Version 2.2) lässt sich je Reifen ein maximaler Schräglaufwinkel in Grad eingeben (möglicher Wertebereich: 0,01° – 50°). Standardmäßig ist der Winkel auf 10° eingestellt. Auch wenn keine Dokumentation hierzu vorhanden ist, ist anzunehmen, dass die Lateralkraft linear bis hin zum maximalen Schräglaufwinkel aufgebaut wird.

Bei VCrash 3 lassen sich bspw. unter Eigenschaften des betreffenden Fahrzeugs unter Achsen für Achse 1 und 2 folgende Reifenmodelle (wahlweise auch Reifen unterschiedlich) einstellen:

  • "Konstante"
  • "Linear"
  • "Tmeasy"

Die beiden letztgenannten Modelle können nach Anwahl dann in einer Diagrammdarstellung verändert werden: Im linearen Modell kann der max. Schräglaufwinkel (Defaultwert: 10°) von 0,01° – 85° vorgegeben werden. Im TM-Easy-Modell können Quer- und Längskomponenten des Reifenmodells editiert werden.


2. Analyzer Pro
Die Software verwendet das IPG-Tire Modell (mittlerweile weiterentwickelt und TameTire genannt) der Fa. IPG Automotive aus Karlsruhe.


3. PC-Crash
Die Software PC-Crash bietet 2 Reifenmodelle zur Auswahl an:

  • Lineares Reifenmodell: Vorgabe des maximalen Schräglaufwinkels pro Reifen (defaultmäßig 10°)
  • TM-Easy Reifenmodell: freie Vorgabe der Lateral- und Longitudinalparameter pro Reifen

Im Kontext des Reifenmodells ist auch noch die Eingabe einer Reifengröße und -breite möglich. Während diese Angaben beim linearen Modell nicht in die Berechnung der Reifenkräfte einfließen, sondern der Visualisierung (2D/3D) dienen, fließt im TM-Easy Reifenmodell der durch Nutzereingabe der Reifendimension errechnete Raddurchmesser sehr wohl in die Berechnung der Radkräfte ein. Nachfolgendes Diagramm zeigt die Unterschiede bei einer Vollverzögerung zwischen linearem und TM-Easy Modell sowie 2 exemplarischen Reifendimensionen (145 / 80 R 13 mit Durchmesser 562 mm und 315 / 30 R 18 mit 646 mm), wobei nur der Beginn der Bremsung dargestellt ist.

Bremskräfte bei Bremsung geradeaus - Vergleich TM-Easy vs. lineares Reifenmodell

Ein Grund für den unterschiedlichen Bremskraftaufbau beim TM-Easy Modell dürfte sein, dass in der Definition des Längsschlupfes der dynamische Rollradius auftaucht, in dessen näherungsweise Berechnung der unbelastete Reifenradius einfließt.


4. Sonstiges
Ein direkter Vergleich der Reifenmodelle zwischen PC-Crash und Virtual Crash scheitert daran, dass Virtual Crash weder in Version 2.x noch in 3.0 Reifenkräfte ausgibt bzw. dem Anwender zugänglich macht.

Parametrisierung

  • Schräglaufwinkel
Hier scheiden sich wohl die Geister. Während PC-Crash dem Nutzer des linearen Modells einen maximalen Winkel von 10° empfiehlt, wird im Buch Fahrzeugreifen und Fahrwerkentwicklung (1. Auflage 2009) ein Maximum der Schräglaufsteifigkeit bei ca. 3,5 - 4,5 Grad Schräglaufwinkel angegeben. Das würde sich mit der Empfehlung aus Simulation of Vehicle Accidents using PC-Crash (S. 21) etwa decken. Der Dubbel geht von 5 - 15° aus. Im Buch Vehicle Dynamics kann man ein Maximum zwischen 6 und 8° nachlesen. Alle genannten Zahlenwerte beziehen sich auf Straßenreifen (Serien- und keine Rennreifen). Da der Seitenkraft-Schrägwinkel-Verlauf von einer Vielzahl von Parametern (Reifeninnendruck, Radlast, Abnutzungsgrad, Alter, Fahrgeschwindigkeit, Radsturz usw.) abhängig ist, die der Rekonstrukteur nicht kennen wird und ein vermessenes Reifenkennfeld für den verwendeten Reifen auch so gut wie nie zur Verfügung steht, lässt sich im Zweifel kein Wert zwischen 3 und 15° kategorisch ausschließen.
Es ist nochmals darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem diskutierten Wert nicht um den im "normalen" Fahrbetrieb auftretenden maximalen Schräglaufwinkel (meist < 12°; Fahrwerkhandbuch) dreht, sondern um den Wert, bei dem bzw. ab dem die maximale Seitenführungskraft aufgebaut wird.
  • TM-Easy Reifenmodell
Ein ausführlich vermessener Nutzfahrzeugreifen der Größe 11 R 22,5 samt Kennfeldern findet sich im Kraftfahrtechnischen Taschenbuch 26. Auflage, dort S. 802 ff.
In Simulation of Vehicle Accidents using PC-Crash, S. 194 f sind Parametrierungsdaten eines auf dem Prüfstand vermessenen Reifen der Dimension 315/80 R 22,5 aufgeführt.
In [1], S. 5 sind gemessene Längs- und Querkraftkennlinien für einen Pkw-Reifen 225/60 R 16 bei verschiendenen Radlasten gezeigt.
Bei Pacejka, Tyre and Vehicle Dynamics (2. Auflage, S. 210 f), sind die vermessenen Kraftcharakteristiken eines Pkw-Reifen (195/65 R15) sowie eines Lkw-Reifen (315/80 R22,5) zu finden. Allerdings sind die Kennlinien (jeweils 3 versch. Radlasten) noch nicht normiert, so dass für eine Eingabe ins TM-Easy Reifenmodell noch etwas Umrechnungsarbeit erforderlich ist.

Kommentar

--Vdengineering (Diskussion) 00:28, 4. Jan. 2015 (CET)
Auch wenn in S. 84 Handbuch Verkehrsunfallrekonstruktion, 2. Auflage das TM-Easy Modell so beschrieben wird, dass "der Sturzeinfluss durch Einführung eines modifizierten Querschlupfes berücksichtigt" wird, so ist nicht ganz klar, ob das auch so in PC-Crash implementiert ist. Denn dann müssten sich - wenn auch keine betragsmäßig großen - Seitenführungskräfte am Reifen auch bereits bei 0° Schräglaufwinkel (Geradeausfahrt) aufbauen.
Lt. Simulation of Vehicle Accidents using PC-Crash S.22 wurde in PC-Crash das ursprüngliche TM-Easy Reifenmodell vereinfacht, es werden "nur" die Längs- sowie die Querkraftcharakteristiken berücksichtigt. Rückstellmomente, Bohrmomente, Rollwiderstände sowie auch Sturzeinflüsse werden damit vernachlässigt.

Weitere Beiträge zum Thema im VuF

Literatur

  • Pacejka, H.B.: Tyre and Vehicle Dynamics, Butterworth-Heinemann Oxford, Second Edition 2006

Links