SCM

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SCM - Secondary Collision Mitigation, wörtlich »Nachrangige Kollisions-Abmilderung«
SCMS - Secondary Collision Mitigation System

Zitat

Fürbeth, U.: Secondary Collision Mitigation. Colliseum, 2016

Begriffsklärung

Folgende Begriffe stehen alle für dasselbe System bzw. dieselbe Funktion:

  • Post-Crash-Bremssystem
  • Multikollisionsbremse MKB (VW, BMW)
  • Post Crash Braking Technology (Continental)
  • (Automatic) Post-Collision Braking System
  • Multi Collision Brake MCB (VW, Skoda)
  • multicollision brake assist system (Audi)
  • Secondary Collision Mitigation (SCM) (Bosch)
  • Post Impact Stability Control System (Ford?)
  • Bremsassistent Folgekollision (Audi)
  • Audi Secondary Collision Brake Assist
  • PostCrash - iBrake (BMW)

Beschreibung

Ein SCMS (oder auch Kollisionsfolgenminderungssystem) soll im Falle einer Kollision die Unfallfolgen abmildern, indem nach einer Primärkollision das Fahrzeug kontrolliert ohne Zutun des Fahrers abgebremst wird. Ziel ist es, eine Folgekollision zu verhindern oder zumindest deren Folgen abzuschwächen. Dies kann durch Eingriff in die Längsdynamik und/oder die Querdynamik geschehen.
Ein SCMS ist ein Beispiel für ein vernetztes System im Fahrzeug. Die mechatronischen Systeme Airbag und ESC tauschen Daten untereinander aus.

Laut der 2010 eingeführten Sonderauszeichnung Euro NCAP Advanced[1] wird bei den folgenden SCMS eine automatische Abbremsung mit einem Verzögerungsniveau von 6 m/s2 vollzogen:

  • 2013 – Skoda Multi Collision Brake
  • 2012 – Audi Secondary Collision Brake Assist
  • 2012 – Seat Multi Collision Brake
  • 2012 – Volkswagen Multi Collision Brake

Die Verzögerung ist wirksam bis 10 km/h. Die verbleibende Restgeschwindigkeit soll dem Fahrer (sofern er noch handlungsfähig ist...) die Möglichkeit geben, das Fahrzeug rasch aus dem Gefahrenbereich zu entfernen.

Anmerkung Vdengineering (Diskussion) 14:27, 9. Mär. 2016 (CET):
Vermutlich wird zur Realisierung der definierten Bremsverzögerung auf die ECD-Funktion zurückgegriffen.

Grenzen

  • Zerstörung der Bremsanlage bei Erstkollision (wobei es bei einer Zweikreis-Bremsanlage und dem nahe der Spritzschutzwand angebrachten ESC-Steuergerät schon schwere Beschädigungen geben muss, damit das System komplett ausfällt)
  • Niedriger Reibungskoeffizient zwischen Straße und Reifen, so dass das angestrebte Verzögerungsniveau nicht erreicht werden kann

Geschichte

Am 19.07.2007[2][3] lässt der Fahrzeugzulieferer Bosch vermelden, dass er ein »Secondary Collision Mitigation (SCM)« entwickelt. Nach Pressemitteilung in der VKU[4] hat der Zulieferer Continental sein System am 12.07.2012 lanciert. VW bringt die Multikollisionsbremse (MKB) erstmalig im Herbst 2012 im Golf VII in Serie[5]; dies gilt auch für den Audi A3[6]. Im März 2013[7] kündigt Skoda für die Markteinführung des neuen Octavia Ende Mai 2013 eine optional erhältliche Multikollisionsbremse an. BMW kündigte am 12.05.2015[8] im Rahmen von Modellpflegemaßnahmen im Sommer 2015 den serienmäßigen Einbau eines SCMS im 2er BMW an. Seat kündigt in einer Pressemitteilung vom 06.07.2015[9] den serienmäßigen Einbau der Multikollisionsbremse im Familien-Van Alhambra an.

Herstellerangaben

Audi

Betriebsanleitung Audi A3 (MJ 2016): Bremsassistent Folgekollision

  • Abbremsung des Fahrzeuges durch ESC bei Registrierung einer Kollision ab einer bestimmten Fahrzeuggeschwindigkeit durch das Airbag-SG
  • keine automatische Abbremsung bei
    • Fahrer tritt das Gaspedal oder
    • Bremsdruck durch das getretene Bremspedal stärker als der vom System eingeleitete Bremsdruck oder
    • keine Funktionsfähigkeit von ESC, Bremsanlage oder Bordnetz

BMW

Betriebsanleitung BMW X3 (MJ 2018)

  • Das System kann das Fahrzeug in bestimmten Unfallsituationen ohne Eingriff des Fahrers automatisch zum Stillstand bringen.
  • Nach Erreichen des Stillstandes wird die Bremse automatisch gelöst.
  • Übersteuerung der fahrzeugeigenen Bremsung durch höheren Bremsdruck am Pedal als durch das System eingesteuert oder durch Treten des Gaspedals.

Seat

Betriebsanleitung Seat Leon 2012: Die Multikollisionsbremse funktioniert bei Kollisionen vorn, seitlich und hinten. Voraussetzung ist, dass das Airbag-System bei einem Unfall mit einer Geschwindigkeit > 10 km/h aktiviert wurde. ESC bremst das Fahrzeug automatisch ab, sofern es nicht beschädigt wurde und Bremshydraulik und Bordnetz funktionsfähig sind. Übersteuerung des SCMS-Eingriffes möglich bei:

  • Fahrer tritt das Gaspedal
  • Bremsdruck durch getretenes Bremspedal stärker als der vom System eingeleitete Bremsdruck
  • bei ESC-Störung steht die MKB nicht zur Verfügung

Skoda

Erforderliche Bedingungen für ein Wirksamwerden des SCM (siehe Bedienungsanleitung Octavia, Stand 11/2015):

  • vorangegangener Frontal- oder Seitenaufprall
  • vkoll > ca. 10 km/h
  • Bremsen, ESC sowie erforderliche elektr. Anlagen nach Primäraufprall funktionsfähig
  • Gaspedal ohne Betätigung

Volkswagen

VW Golf VII/Passat B8 Bedienungsanleitung: das SCM funktioniert nur bei Front-, Seiten- und Heckkollisionen, wenn das Airbag-SG eine entsprechende Auslöseschwelle während eines Unfalls feststellt. Der Unfall muss bei einer Fahrgeschwindigkeit > 10 km/h (6 mph) stattfinden.

  • automatisches Abbremsen durch ESC, sofern hydraulisches Bremssystem, ESC und elektrische Anlage unbeschädigt und funktionsfähig
  • Übersteuerung der automatischen Bremsung bei:
    • Treten das Gaspedals durch den Fahrer
    • Bremsdruck durch getretenes Bremspedal stärker als der vom System eingeleitete Bremsdruck; dann wird das Fahrzeug manuell gebremst.

Abgrenzung

Mercedes bietet mit »PRE-SAFE PLUS« ein optionales System an, dass vorrangig die Unfallfolgen eines Heckaufpralles abmildern soll. Dazu überwachen Radarsensoren den Bereich hinter dem Fahrzeugheck. Bei drohendem Auffahrunfall und eigenem Stillstand (z.B. an einer Ampel) wird das Fahrzeug "festgebremst"[10]. Damit kann eine potenzielle Sekundärkollision (bspw. durch ein Aufgeschobenwerden auf den Vordermann) auch verhindert oder zumindest abgeschwächt werden. Der wesentliche Unterschied zu einem typischen SCMS ist, dass diese eine Sekundärkollision abschwächen oder verhindern können, die aus der eigenen Bewegung heraus entsteht. Das System von Mercedes kann eine Sekundärkollision nur verhindern, sofern der eigene Wagen steht.

Beiträge im VuF

Literatur

  • Siebenpfeiffer, W. (Hrsg.): Vernetztes Automobil: Sicherheit - Car-IT - Konzepte. 1. Auflage 2014, Springer Vieweg, 236 S., ISBN 978-3658040185
  • Häussler, A.; Schäffler, R.; Georgi, A.; Stabrey, S.: Vernetzung zwischen Airbag und ESP zur Vermeidung von Folgekollisionen. ATZ - Automobiltechnische Zeitschrift, 09/2012
  • Stabrey, S.; Georgi, A.; Blank, L.; Marchthaler, R.: Minderung der Schwere von Unfällen mit Mehrfachkollisionen durch automatische Bremseingriffe. VDI-Bericht 2009: AUTOREG 2008 - Steuerung und Regelung von Fahrzeugen und Motoren 4. Fachtagung, Baden-Baden, VDI Verlag, Düsseldorf, 2008, 7 Seiten, 4 Abbildungen

Siehe auch

Patente

Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit!

  • DE 19753971 A1: Verfahren und Vorrichtung zur Steuerung einer Bremsanlage eines Fahrzeugs. 1997, Robert Bosch GmbH [1]
  • EP 1 687 183 B1: Verfahren und Einrichtung zur Verringerung von Unfallschäden. 2004, Continental Teves AG & Co. oHG [2]
  • WO 2005/047066 A1: Verfahren und Einrichtung zur Verringerung von Unfallschäden. 2005, Continental Teves AG & Co. oHG
  • DE 10 2004 058 814 A1: Verfahren und Vorrichtung zur Fahrzeugverzögerung nach einer Kollision. 2004, Robert Bosch GmbH [3]
  • DE 10 2005 005 412 A1: Vorrichtung und Verfahren zur Vermeidung von Gegenverkehrsunfällen eines Fahrzeugs nach einem Heckaufprall. 2005, Volkswagen AG [4]
  • DE 10 2006 059 036 A1: Verfahren und Bremssystem zum Vermeiden von Multikollisionsunfällen und Abmildern ihrer Auswirkungen. 2006, Volkswagen AG [5]
  • DE 10 2008 005 310 A1: Verfahren zur Beeinflussung der Bewegung eines Fahrzeugs bei vorzeitigem Erkennen einer unvermeidbaren Kollision mit einem Hindernis. 2008, BMW AG [6]
  • DE 10 2008 043 264 A1: Verfahren zur Aufrechterhaltung eines fahrerunabhängigen Bremseingriffs nach einer Kollision. 2008, Robert Bosch GmbH [7]
  • DE 10 2011 115 223 A1: Verfahren zum Betrieb eines Sicherheitssystems eines Kraftfahrzeugs und Kraftfahrzeug. 2011, Audi AG [8]
  • DE 10 2012 015 525 A1: Kraftwagen mit robuster Niedervolt-Spannungsversorgung. 2012, Audi AG [9]
  • DE 10 2012 102 459 A1: Verfahren zur Anpassung wenigstens eines Steuerungsparameters eines sicherheitsrelevanten Systems eines Fahrzeuges. 2012, Continental Automotive GmbH [10]
  • EP 2 572 953 A1: Verfahren zum Betrieb eines Sicherheitssystems eines Kraftfahrzeugs und Kraftfahrzeug. 2012, Audi AG [11]
  • DE 10 2013 002 500 A1: Bremsassistenzsystem für ein Fahrzeug. 2013, Volkswagen AG [12]
  • DE 10 2013 215 472 A1: Planung einer Auslauftrajektorie zur Kollisionsfolgenverminderung. 2013, Volkswagen AG [13]

Einzelnachweise