Unzulässige Verzugszeit bei ES3.0 Funkkamera

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2013

Zitat

Wietschorke, St.: Unzulässige Verzugszeit bei ES3.0 Funkkamera. Colliseum, 2013

Inhaltsangabe

Messanordnung mit Funkkamera

Bei der Anlage ES3.0 ist ein Betrieb mit kabelgebundener Messkamera und zusätzlicher Funkkamera zulässig. Die Funkkamera (in der Gebrauchsanweisung auch als ungeeichte Zusatzfotoeinrichtung, ungeeichte Kamera oder funkgesteuerte Fotoeinrichtung bezeichnet) wird in der Regel zur Aufnahme von Fahrerfotos eingesetzt. Nur in den Bildern der Messkamera sind die Messdaten (Datum, Uhrzeit, Geschwindigkeit etc.) eingeblendet, die Bilder der Funkkamera enthalten keine Einblendungen. Bei einer Messung werden die Bilddatei der Funkkamera mit der/den Bilddatei/en der Messkamera/s in einer Messdatei zusammengeführt - dadurch sind die Funkfotos eindeutig einer Messung zugeordnet.

Die Gebrauchsanweisung lässt ausdrücklich die Fahrzeugidentifikation anhand der Funkfotos zu:

Kap.3.2/S.13: Zusätzlich kann ggf. über einen Adapter die funkgesteuerte Fotoeinrichtung FE4.1 betrieben werden um z.B. bei einem Heckfoto eine Fahrererkennung zu ermöglichen, oder bei Motorrädern das Kennzeichen abzulichten. Die funkgesteuerte Fotoeinrichtung FE4.1 hat eine zusätzliche Auslöseverzögerung von ca. 60 ms. Dies entspricht bei 100 km/h einer zusätzlichen Strecke von ca. 1,7 m.

Kap.8.3.3/S.42: - Mindestens in einem Foto muss sich das Kennzeichen innerhalb des Fotos befinden und lesbar sein. - Die nötigen Informationen können auch in verschiedenen Fotos vorhanden sein. Eine eindeutige Zuordnung aller Fotos zu einer Messung, auch der ungeeichten Kamera, ist immer gewährleistet.

Kap.8.5.3/S.45: In den Fotos der ungeeichten digitalen Zusatzfotoeinrichtung sind keine Daten eingeblendet. ... Die Fotos von dieser Zusatzfotoeinrichtung können als Ergänzung herangezogen werden, um z.B. das Kennzeichen des gemessenen Fahrzeugs lesen zu können, oder eine Fahrererkennung zu ermöglichen, auch wenn das Messfoto nicht auswertbar ist.

Es wäre also insbesondere zulässig, den Geschwindigkeitswert eines Fahrzeugs dem Messfoto und das Kennzeichen dem Funkfoto zu entnehmen.

In einer Messreihe sind nun neben ordnungsgemäßen Messfotos auch solche aufgetaucht, bei denen die Funkfotos anscheinend stark verzögert ausgelöst wurden. In drei Fällen waren die auf den Messfotos abgebildeten Fahrzeuge auf den Funkfotos gar nicht abgebildet, also wohl bereits aus dem Bildbereich heraus gefahren. In einem weiteren Fall befand sich auf dem Messfoto ein VW Caddy, auf dem Funkfoto dagegen ein Audi A3. Hätte man in diesem Fall die Fahrzeugidentifikation anhand des Funkfotos vorgenommen, so wäre der falsche Fahrer im anscheinend nachfahrenden Fahrzeug beschuldigt worden. Innerhalb der Messreihe befanden sich auch Messfotos mit ordnungsgemäßen Fahrzeugpositionen - eine Fehlausrichtung der Funkkamera kann damit ausgeschlossen werden.

Es bleibt als Schlussfolgerung, dass die Auslösung der Funkkamera zeitlich nicht überwacht wird. Bei Störung der WLAN-Übertragung wird der Auslösebefehl anscheinend erst verzögert übertragen und das Funkfoto entsprechend verzögert ausgelöst. Das Messgerät ordnet auch ein verzögert aufgenommenes Funkfoto einer Messung zu und integriert die Funkfotodatei in die Messdatei.

In dem angegebenen Fall VW Caddy/Audi A3 ließ sich die tatsächliche Auslöseverzögerung auf mindestens 350 ms abschätzen; das ist fast das 6-fache des in der Gebrauchsanweisung angegebenen Werts. Bei einer so eklatanten Abweichung gegenüber der Angabe in der Gebrauchsanweisung sind die Anforderungen an ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung nicht mehr erfüllt.

Die verzögerte Auslösung der Funkkamera kann zwar nicht zu einem falschen Messwert, aber zur Zuordnung zu einem falschen Fahrzeug und damit zu einem Vorwurf gegen einen Unschuldigen führen.

Bis zur Klärung der Ursache und Einführung einer Zeitüberwachung ist zu empfehlen, die Funkfotos nur dann heranzuziehen, wenn die Zugehörigkeit durch das auf beiden Bildern erkennbare Kennzeichen, durch besondere Merkmale des Fahrzeugs oder durch andere Identifikationsmerkmale eindeutig gegeben ist.

Stephan Wietschorke, Stand: 11.01.2013

Kommentar

Wenn es sich bei der ungeeichten Funkkamera um eine optionale Zusatzausstattung handelt, kann man bzgl. der (juristischen) Einstufung als standardisiertes Messverfahren auch sicher die Auffassung vertreten, dass hierdurch die eigentliche Klassifizierung als standardisiertes Messverfahren nicht tangiert wird.

Zumindest problematisch ist natürlich die spätere Auswertung der Messdatei mit der betreffenden, möglicherweise falschen Zuordnung von Messwert und Fahrzeug. Da es sich aber sozusagen um eine "ungeeichte Zusatzinformation" handelt, darf man diese "Quelle" aus meiner Sicht auch lediglich zusätzlich zu den geeichten Informationen und nicht alleine für einen Nachweis verwenden. Unglücklich ist es allemal...

Martin Hege, 11.01.2013

Ergänzung

Der Begriff des standardisierten Messverfahrens (im Sinne der Rechtsprechung) ist völlig unabhängig von einer PTB-Zulassung oder Eichung der gesamten Anlage oder einzelner Baugruppen. Es muss aber bei einem standardisierten Messverfahren sichergestellt sein, dass ein Einsatz exakt nach Gebrauchsanweisung immer zu sicheren und verlässlichen Messwerten und Zuordnungen zum auslösenden Fahrzeug führt. Das ist bei dem unüberwachten Funkanschluss - wie die Praxis zeigt - eben nicht mit der erforderlichen Sicherheit gewährleistet.

Die PTB teilte in einer Stellungnahme zwischenzeitlich mit, dass im Kabel vom Mess-PC zum Funkmodul durch einen unsachgemäßen Einbau (bei der Fa. eso) ein Kabelbruch entstanden war. Die PTB vertritt die Auffassung, dass es sich um einen Einzelfall handelte, bei dem die Fehlfunktion für den Betreiber erkennbar war, und dass es keiner weiteren Konsequenzen bedarf.

Dagegen gab der Messbeamte an, dass ihm keine Unregelmäßigkeiten auffielen. Der Messeinsatz wurde auch nicht abgebrochen, sondern planmäßig beendet (Leihgerät). Die bei diesem Messeinsatz angefertigten Messfotos wurden auch verwertet.

Wenn - wie hier - kein aufmerksamer Messbetrieb vorgeschrieben ist, darf man nicht davon ausgehen, dass Unregelmäßigkeiten im Betrieb sofort auffallen. Deshalb muss schaltungstechnisch dafür gesorgt werden, dass keine Fehlzuordnung auftreten kann; eine entsprechende Überwachung und Rückmeldung wäre technisch kein Problem. Alternativ könnte man auch einfach die Gebrauchsanweisung ändern und eine alleinige Zuordnung des Messwerts zu einem Fahrzeug anhand des Funkfotos eben nicht mehr zulassen.

Stephan Wietschorke, 26.02.2013

Siehe auch

  • Wietschorke, St.: Unsichere Messwertzuordnung bei der ES3.0-Funkkamera durch unzulässige Verzugszeit. DAR Heft 7, S. 424ff, Juli 2013