Neue mathematische Erkenntnisse zu Reaktionszeiten bei Notbremsvorgängen
2008, pp. 260 – 268 (#9) – Teil 1
2008, pp. 299 – 306 (#10) – Teil 2
Die Beurteilung, ob ein Verkehrsteilnehmer auf eine Gefahrsituation angemessen reagiert hat, hängt davon ab, welche Reaktionszeiten man ihm zubilligt. Zahlreiche Straßen- und Laborversuche ergaben Werte, die in Unfallanalysepraxis und Rechtsprechung lange Zeit anerkannt waren. Die Messwertanalyse mittels Weibull-Verteilung – 1982 Grundlage im "Kölner Modell" – wurde aber infrage gestellt. Neue mathematische Analysen an der Universität Jena führten zur Modifizierung der Weibull-Verteilung, mittels der die Rohdaten der Reaktionszeitmessungen von Burckhardt neu bewertet werden konnten.
New mathematical findings on reaction times during emergency braking
The judgement of whether a road user has reacted appropriately to a dangerous situation depends on which reaction times he or she is assumed to have. Numerous road and laboratory tests have produced values that were recognised for a long time in accident investigations and legal practice. However, the analysis of measured values using the Weibull distribution - the basis for the "Cologne Model" in 1982 - was called into question. New mathematical analyses at the University of Jena resulted in the modification of the Weibull distribution, which allowed the raw data from reaction time measurements made by Burckhardt to be reassessed.
Zitat
Döhler, H.; Nitsche, K.: Neue mathematische Erkenntnisse zu Reaktionszeiten bei Notbremsvorgängen. Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik 46 (2008), Teil 1 pp. 260 – 268 (Heft 9), Teil 2 pp. 299 – 306 (Heft 10)
Inhaltsangabe
Ähnlich wie Hugemann und Zöller passen die Autoren dieses Beitrags eine vorgegebene Verteilungsfunktion an die Reaktionszeitmessungen von Burckhardt an, indem sie deren Parameter bestimmen. Hugemann und Zöller hatten eine Gammaverteilung mit Totzeit t0 verwendet und deren Überlegenheit gegenüber der von Burckhardt verwendeten Weibullverteilung gezeigt. Die Autoren übertragen nun die Idee einer Totzeit auf die Weibullverteilung und passen deren Parameter dann den Versuchsdaten an (die von Hugemann in Form einer Exceldatei zur Verfügung gestellt wurden).
Prof. Dr. Döhler ist Mathematiker, und so befasst sich der erste Teil des Aufsatzes vor allem mit den Schätzverfahren zur Anpassung der Modellparameter. (Ein interessanter didaktischer Ansatz bestünde sicher darin, sich die mathematischen Einzelheiten einmal vom Koautor des Beitrags erläutern zu lassen.) Im zweiten Teil werden diese Fits der modifizierten Weibullverteilung (mit Totzeit) den Fits der klassischen Weibullverteilung (im Artikel als »Auswertung nach Hugemann« bezeichnet) gegenübergestellt. Dabei ergibt sich ein ähnlicher Gewinn wie bei Anwendung der Gammaverteilung mit Totzeit.
Fazit ist, dass sich folgende Fahrerreaktionszeiten nach den Auswertungen der Autoren aus den Rohdaten von Burckhardt ergeben:
- 2%-Perzentil: 0,3 – 0,5 s
- 98%-Perzentil: 1,0 – 1,1 s
Gegendarstellung
Gegen die Bezeichnung »Auswertung nach Hugemann« für den Fit der klassischen Weibullverteilung möchte ich mich verwahren, weil ich in meinen Beiträgen klargestellt habe, dass ich diese Fit-Funktion für prinzipiell ungeeignet halte. Insofern verwundert es, wenn ausgerechnet diese Form des Fits von den Autoren mit meinem Namen verknüpft wird.
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